Praxisalltag & Digitalisierung

Darum brauchen wir mehr Digitalisierung im Gesundheitswesen

Dr. med. Martin Deile im Interview

Digitale Technologien können Ärztinnen und Ärzten im Gesundheitswesen helfen, Daten einfacher zu erfassen und auszuwerten – ohne großen Bürokratieaufwand. Wir haben mit Dr. med. Martin Deile aus Dresden zum Thema E-Health gesprochen. Er ist Teilnehmer der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) und plädiert für mehr Digitalisierung im Gesundheitsbereich.

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Guten Tag, Dr. Deile. Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen. Erzählen Sie uns gerne etwas zu Ihrem beruflichen Werdegang. Wie lange sind Sie schon praktizierender Arzt und was sind Ihre Fachgebiete?

Dr. med. Martin Deile: Nach meiner Approbation im Jahr 2007 war ich zunächst in der Uniklinik in Dresden als Intensivmediziner tätig. Im Laufe der Zeit hat mich dann immer mehr die Prävention von Krankheiten und die Erhaltung der Gesundheit interessiert, weshalb ich nun als Allgemeinmediziner tätig bin und seit 2019 auch meine eigene Praxis habe. Mit mir arbeiten zwei Schwestern sowie seit April ein Assistenzarzt zusammen. Noch recht frisch widme ich mich auch der Sportmedizin und betreue mit einem weiteren Kollegen medizinisch die Basketballmannschaft vor Ort, die in der zweiten Liga spielt.

Wie hat die Corona-Pandemie die Digitalisierung in Praxen beeinflusst?

Dr. med. Deile: Ich sehe die Corona-Pandemie eindeutig als Bremse der Digitalisierung im Gesundheitsbereich. Unter anderem wurden geplante Maßnahmen wie die Einführung des E-Rezepts oder des elektronischen Krankenscheins aufgrund von Covid-19 nach hinten verschoben. Auch wenn es dank der Pandemie mittlerweile Online-Sprechstunden gibt, erachte ich diese nicht als Teil einer Digitalisierung, da die Diagnose am Ende wieder erfasst und niedergeschrieben werden muss und der Verwaltungs- und Bürokratieaufwand bleibt.

Welche Digitalisierungsmaßnahmen setzen Sie bereits um und welche Vor- und Nachteile sehen Sie?

Dr. med. Deile: Alle. In meiner Praxis setze ich derzeit alles um, was möglich ist. Vor allem KIM ist eine sehr große Erleichterung. Die elektronische Patientenakte ist für Patientinnen und Patienten derzeit noch schwer einzurichten, für Ärztinnen und Ärzte aber besonders in Kombination mit KIM eine Vereinfachung in Bezug auf Verwaltungs- und Bürokratiearbeiten. Ein Facharztbefund kommt über die KIM Mail und kann vom Arzt oder der Ärztin in die Patientenakte gezogen werden. So hat sowohl der Patient oder die Patientin als auch der zu behandelnde Arzt oder die Ärztin alle Befunde beisammen.

KIM (Kommunikation im Medizinwesen): Der Bürokratieaufwand in deutschen Praxen ist enorm, KIM reduziert diesen Aufwand – mit der elektronischen und sicheren Übermittlung von Dokumenten, Befunden und Nachrichten. Mithilfe von KIM können wichtige Untersuchungsergebnisse leichter zwischen Fachärztinnen und Fachärzten sowie Hausärztinnen und Hausärzten ausgetauscht werden – für weniger Bürokratie und mehr Zeit für Patientinnen und Patienten. Weitere Informationen erhalten Sie hier: https://www.gematik.de/anwendungen/kim

Ist das Thema Digitalisierung in anderen sächsischen Hausarztpraxen bereits gelebter Alltag?

Dr. med. Deile: Auch wenn ich nicht für alle sprechen kann, weiß ich, dass manche Kolleginnen und Kollegen gar nicht mit der Telematikinfrastruktur (TI) klarkommen. Es hängt auch von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, inwiefern das Thema Digitalisierung in der eigenen Hausarztpraxis gelebt wird. Einige Ärztinnen und Ärzte sind mehr mit der Technik vertraut und verstehen zum Beispiel die Bedeutung von Datensicherheit. Es gibt allerdings auch noch viele Ärztinnen und Ärzte, die sich mit diesen Begrifflichkeiten und dieser Datenautobahn des Gesundheitswesens noch nicht auseinandergesetzt haben.

gematik: Die gematik ist eine nationale Agentur für Digitale Medizin und kümmert sich um ein Vorantreiben des Digitalisierungsprozesses im Gesundheitswesen. Außerdem trägt sie die Gesamtverantwortung für die Telematikinfrastruktur.

Telematikinfrastruktur: Die Telematikinfrastruktur (TI) ist eine Plattform für Gesundheitsanwendungen in Deutschland. Ziel der TI ist eine verbesserte medizinische Versorgung sowie eine sichere und effizientere Kommunikation zwischen Ärztinnen und Ärzten, Psychotherapeutinnen und -therapeuten und Krankenhäusern. Weitere Informationen zur Telematikinfrastruktur erhalten Sie hier: https://www.gematik.de/telematikinfrastruktur

Wie schätzen Sie das digitale Gesundheitswesen Deutschlands ein? Können wir international mithalten?

Dr. med. Deile: Deutschland bewegt sich im Vergleich zu anderen Ländern auf den letzten Plätzen – mit einem Digitalisierungsgrad von rund 30 Prozent. Die Digitalisierung hier ist immer noch mit einem sehr hohen Dokumentationsaufwand verbunden. Nehmen wir die Impfung als Beispiel: Die Corona-Schutzimpfung wird fünfmal dokumentiert, bei der Krankenkasse, mit der Arztsoftware, in den Impfausweisen, dem Zertifikat und über das RKI – und trotzdem kann nicht genau gesagt werden, wie viele Menschen bereits geimpft sind. Ein weiteres Beispiel: Wenn Personen positiv getestet werden, müssen sie telefonisch informiert werden, davor kommt der Befund über ein Fax und muss dann von der Schwester eingescannt werden. Die Krankschreibung muss ausgedruckt und der Brief frankiert werden. Das nimmt einen sehr großen Teil der Arbeitszeit ein. Tatsächlich macht der Patientenkontakt den geringsten Teil der Arbeit aus.

Was für Unterstützungsangebote hinsichtlich Digitalisierung im Gesundheitsbereich würden Sie sich wünschen?

Dr. med. Deile: Ich würde mir Schulungen und mehr Aufklärung wünschen. Was ist TI, was ist gematik und – so blöd das auch klingen mag – was sind überhaupt Daten? Erst mit einer ausreichenden Digitalisierung im Gesundheitswesen kann eine Ärztin oder ein Arzt sich wieder auf das konzentrieren, was wichtig ist: die Hausarzt-Patienten-Beziehung.

Die Initiative zukunft:hausarzt lädt Sie dazu ein, gemeinsam mit uns den Hausarztbesuch der Zukunft zu gestalten. Ihre Meinung zählt. Ihre Erfahrung ist wichtig. Tauschen Sie sich mit uns aus, damit Hausärztinnen und Hausärzte, medizinische Fachangestellte, Patientinnen und Patienten sowie Krankenkassen zukünftig von der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) profitieren. Initiative zukunft:hausarzt – eine Initiative des Sächsischen Hausärztinnen- und Hausärzteverband e.V. sowie Hausärzteverband Hessen e.V.

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Hanna am 10.04.2022
Vielen Dank für diesen schönen Beitrag, vor allem für die Begriffserläuterungen.
Ein hoch aktuelles und auch sensibles Thema zurzeit.
Ob Corona die Digitalisierung vorantrieb? Dazu kann ich nur sagen, ja und nein!
Für technikaffine Praxen ja, zum Beispiel durch staatliche Subventionen oder durch neue Softwarelösungen.
Ich befürworte die Digitalisierung, jedoch halte ich nichts von angedrohten Sanktionen für Arztptraxen. Dies ist definitiv kontraproduktiv. Ärztinnen und Ärzte sind Unternehmerinnen und Unternehmer. Sie entschieden sich für den Schritt in die eigene Praxis, in die Selbstständigkeit, um Entscheidungen für sich selbst frei treffen zu können. Durch finanziell angedrohte ,,Bestrafungen" werden sie in ihrer unternehmerischen Freiheit in meinen Augen beschnitten!
Praxen, welche Neuerungen sowie moderner Technik schon immer ablehnend gegenüberstanden, wurden wegen Corona oder anhand drohender Sanktionen nicht dazu angetrieben sich zu digitalisieren.
Ich denke früher oder später wird kaum eine Praxis drumherum kommen, auch da immer mehr Bürokratie zu bewältigen ist (lesen Sie dazu gern den Beitrag zum Thema Bürokratie in Initiative:Zukunft:Hausarzt).
Es spielt das Teamgefüge eine wichtige Rolle. Ziehen Schwestern in den Praxen sehr gut mit ihren Ärztinnen und Ärzten mit, so setzt sich die Digitalisierung eher durch, als in Arztpraxen, welche versuchen dieser so lange wie möglich zu entfliehen.
Es ist wie mit so Vielem im Leben, was neu und somit für den Moment noch unbekannt ist. Der Mensch als Gewohnheitstier. Bekanntes gibt ihm ein sicheres Gefühl - wer wiegt sich nicht gern in Sicherheit? Aller Anfang ist schwer. Technische Umstellungen bringen, wie im privaten Bereich bei sich zu Hause auch, zumeist genauso in Arztpraxen Probleme mit sich. Doch diese können immer überwunden werden, so sehe ich das. Kurz Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch für einen guten Zweck. Danach kann man unheimlich davon profitieren.
Zudem kommt es darauf an, wie das Praxisteam damit umgeht. Sieht es das Ganze relativ locker, so etablieren sich sinnvolle Digitalisierungsmaßnahmen viel unkomplizierter und schneller, als in einem Team, welches aus allem ein doppeltes Problem macht.
Ich kann hier nur empfehlen: benennen Sie eine Schwester, die einen Faible für Technik hat, sich gerne damit befasst und in Absprache mit Ihnen als Arzt oder Ärztin das Thema Digiatlisierung in die Hand nimmt, ganz besonders in enger Zusammenarbeit mit Ihrem Softwarehaus. Dann wird Ihnen die Digitalisierung in Ihrer Arztpraxis mit niedrigem Stressfaktor, jedoch auf qualitativ hohem Niveau gelingen.
Hier lohnt es sich eine MFA zur Praxismanagerin ausbilden zu lassen, die Vieles in der Praxis und ebenso die Digitalisierung im Blick hat. Das ist Teil ihrer hochwertigen Ausbildung.
Ein weiterer Tipp: vereinbaren Sie mit Ihrem Softwareanbieter ein komplettes Service-Paket, was alles umfasst. So müssen Sie nicht wegen jeder Anfrage seitens Ihrer Praxis oder wegen jeder Änderung in den Einstellungen Ihres Praxisverwaltungssystems zusätzlich darüber nachdenken, wie viel Ihnen diese oder jene Frage oder diese und jene Hilfe von dort nun wieder kosten wird. Das bremst ungemein und verursacht zusätzlichen Stress. Es wäre an falscher Stelle gespart.
Ich möchte hier allen Arztpraxen Mut machen sich zu digitalisieren. Die Vorteile der Digitalisierung erkennt man erst, wenn man sie selbst erlebt. Es wird sich für Sie und Ihr Praxisteam in den bereits genannten Punkten als wertvoller Mehrwert entwickeln.
Viele Grüße
IZH-Team am 11.04.2022
Hallo Hanna,
vielen Dank für den ausführlichen und zumal sehr differenzierten Kommentar.
Sicherlich gibt es bei der Vielzahl an Hausarztpraxen eine große Spannbreite, wenn es um den Stand, Fortschritt und das Grundwissen in Sachen Digitalisierung geht. Eine einheitliche Lösung zu finden ist da nicht leicht. Danke auch für die hilfreichen Tipps, das Thema Digitalisierung proaktiv anzugehen und somit die Zukunft des Hausarztwesens aktiv mitzugestalten.
Beste Grüße und eine schöne Woche
Dein IZH-Team

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